Zur historischen Entwicklung des Kinos
Die frühen Kinos funktionierten so, wie heute ein Zirkus funktioniert: Sie wanderten als Kirmesattraktion von Festplatz zu Festplatz. In die großen Vorführungszelte strömten teils mehrere tausend Menschen. Anfangs war das Programm nicht sehr vielfältig. Wanderkinos hatten nur eine kleine Auswahl an Kurzfilmen im Gepäck. Ihr Erfolg führte dazu, dass es bald erste Kinos mit festem Sitz gab – in Wirtshäusern, Varietés und leer stehenden Ladenräumen. Dort herrschte kneipenähnliche Atmosphäre. Nicht viele Menschen fanden in den engen Räumlichkeiten Platz. Damals waren die Kinos eine „Attraktion für junge Arbeiter, Ladenmädchen, Arbeitslose, Bummelanten und für Typen, die sozial nicht einzustufen waren . . . Sie boten den Armen ein Obdach und den Liebenden eine Zuflucht. Hin und wieder schneite auch ein verrückter Intellektueller herein“ (35). Den Armen ein Obdach und den Liebenden eine Zuflucht? Tatsächlich erfüllte das Kino von Anfang an nicht den reinen Zweck, einen Film in besonderer Qualität zu sehen. Vielmehr war es – und ist heute noch – ein „Erfahrungsraum“ (36), der unterschiedliche Bedürfnisse erfüllt.
Es dauerte nicht lange, bis die Bedingungen für die Zuschauer verbessert wurden. 1909 eröffnete in Berlin der erste deutsche Kinopalast. Damit brach die Ära prächtiger Filmtheater an, in denen es neben komfortablen Kinosälen kunstvoll gestaltete Foyers, Restaurants, Läden und manchmal sogar Notarztstationen und Kinderbetreuungsstätten gab. Schon anno dazumal sollte ein Kino mehr als nur den Filmgenuss bieten.
Bei der Fassadengestaltung orientierten die Architekten sich an Opernhäusern, Schlössern, Kathedralen und antiken Bauten. Kinos sollten so in das städtische Bild integriert werden, um „auch äußerlich die Legitimität der offiziellen Kultur“ (37) zu erlangen.
Der Erfolg des Kinos lässt sich vor allem darauf zurückführen, dass der Film eine neue Möglichkeit darstellte, gesellschaftliche Zustände aufzugreifen und Lösungen für (alltägliche) Probleme der Bevölkerung zu finden. Weil er eine Illusion der Realität auf die Leinwand zauberte, war er lebensnah und voller Charme. Vor dem eigentlichen Film wurden im Kinosaal oft Wochenschauen, Trickfilme oder Bühnenshows gezeigt. Insbesondere mit den Wochenschauen verfolgte man das Ziel, das Publikum zu erziehen und zu bilden. So wurde der Kinobesuch zu einem abendfüllenden Ereignis. In der Phase des Stummfilms war es nicht selten, dass ein Orchester oder Grammophonmusik den Film untermalte. Gelegentlich gab es sogar einen Erzähler, der die Handlung kommentierte.
Eine Krise des Kinos brach in der Mitte des 20. Jahrhunderts mit der Etablierung des Fernsehens aus. Die Kinoindustrie begegnete der neuen Konkurrenz mit einer technischen Innovation: dem 3D-Film. Er sollte das Filmerlebnis revolutionieren und eine Besonderheit gegenüber dem gewöhnlichen Fernsehabend daheim darstellen. Der Plan ging auf. In den 1950ern boomte das 3D-Kino. Mit Themen wie Rock’n’Roll, Sex, Gewalt und schnellen Autos versuchte man zudem zunehmend, die junge Generation anzusprechen. Denn „das große Familienpublikum“ hatte Hollywood „seit den frühen 1960er[n] an das Fernsehen verloren“ (37).
Die gesellschaftliche Ausdifferenzierung im Lauf der Jahrzehnte spiegelte sich auch in der Filmindustrie wider. Das Publikum erhoffte sich von einem Film nicht mehr nur seichte Unterhaltung, sondern ein ästhetisches und intellektuelles Erlebnis. So kam es zur allmählichen Verbreitung von unabhängigen Programmkinos. Sie punkteten nicht wie die großen Kinopaläste mit der modernsten Technik und den neuesten Hollywood-Blockbustern. Vielmehr boten sie eine Vielfalt an unterschiedlichen kleinen Filmformaten: Avantgarde- und Experimentalfilme, die im Kontrast zu den Filmvorlieben der breiten Masse standen. Bis heute stellen diese Programmkinos eine Ergänzung zu den sogenannten Multiplex-Kinos (= Großkinos mit mehreren Kinosälen) dar.
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